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Craft Beer – Besuch im Galopper des Jahres

By Grischa

Das letzte Mal war ich vor 20 Jahren im Schanzenviertel in Hamburg. Damals betrieben Marc und Gerrit, zwei Freunde, die ich noch aus Berufsschulzeiten kenne, hier eine Bar (das BP1) und ein Cafe (Bedford Cafe). Vor einigen Tagen war ich wieder da, um Gerrit zu besuchen. Mittlerweile ist die Schanze kommerzieller geworden, die Pachtverträge vom BP1 und vom Bedford ausgelaufen und 3 neue Pferdchen von der Leine gelassen, die sich prächtig entwickeln. Ich war gespannt, wie Gerrits neue Läden „Galopper des Jahres“, „Jolly Jumper“ und „Kleiner Donner“ aussehen würden, welche Konzepte dahinter steckten und wie er es geschafft hatte, innerhalb kürzester Zeit sein neues Venture zum Erfolg zu führen. Ein Erfahrungsbericht aus Hamburg. Die „73“ ist ein altes Kultur- und Veranstaltungszentrum, eine ziemlich große Immobilie mit 5 Etagen und einem Untergeschoss. Sie liegt direkt am Schulterblatt wo heute, an einem verregneten Montagabend um 8 noch viel los ist. Partyvolk mischt sich mit Dealern und Anwohnern, denn die Schanze ist mittlerweile nicht mehr nur alternativ, sondern auch beliebte Wohngegend geworden. Als wir den Galopper des Jahres, seine neue Craft Beer Bar betreten, ist der Laden fast bis auf den letzten Platz belegt. Ein langjähriger Mitarbeiter, der schon im Bedford gearbeitet hat, begrüßt uns herzlich. Ich fühle mich wohl. Craft Beer, regional gebraute Biere aus kleinen unabhängigen Brauereien folgen einem Trend, der sich in eine übergreifende Bewegung einreiht: „Selbermachen“, „Small is beautiful“. „Entrepreneurship“, „bewusster Konsum“, „Produkte aus der Region“. So verstehe ich das zumindest. Streetfood Märkte und die Markthalle Neun gehen für mich in diese Richtung, die nicht nur auf der Straße oder in Szenekneipen stattfindet, sondern auch in Hotels oder Restaurants, wie dem ELLA in München zum Beispiel. Auch dort wird kein Schweppes oder Campari mehr verkauft, sondern zwar etwas teurere aber dafür chemielose und vor allem regionale Alternativprodukte. Im Galopper derweil nimmt mich Gerrit mit auf eine Reise durch sein neues Reich und präsentiert mir die beeindruckende Biervielfalt. „ Unsere Bierspezialitäten kommen aus kleinen Kreativbrauereien oder besonders traditionsbewußten Brauhäusern- ganz bewusst führen wir keine Industriebiere. Dafür genießen wir den einzigartigen Geschmack, den nur die feine Braukunst hervorbringen kann“, heißt es auf der Internetseite, wo auch 6 Brauereien und deren Biere vorgestellt werden, die man dauerhaft im Galopper ordern kann. Dazu gehört zum Beispiel der „Kehrwieder Prototyp“ ein starkes, kalt gehopftes Lager der Hamburger Kreativbrauerei Kehrwieder von Oliver Wesseloh, der von 2013-2015 Weltmeister der Biersommeliers war. Der Herstellungsprozess dieses Bieres wird folgendermaßen beschrieben: „wird aus in Handarbeit produziertem böhmischen Tennenmalz hergestellt und mit Northern Brewer gehopft. Um das Aroma zu bewahren, wird erst nach dem Kochen deutsche Perle hinzu gegeben. Am Ende der kalten Gärung mit Lagerhefe wird tschechischer Saazer und amerikanischer Simcoe in den Lagertank gegeben. Die zwei Hopfensorten und deren späte Gabe, machen das ganz spezielle Prototyp Aroma aus“. Neben dem Kehrwieder finden sich im Galopper- Angebot: – die Ricklinger Landbrauerei mit dem Ricklinger Pils – die Neuköllner Privatbrauerei am Rollberg mit dem Rollberg Rot – die Ratsherren Brauerei mit einem Zwickel – ein Pale Ale von Maisel's & Friends aus Bayreuth Und das „Wildwuchs Fastmoker“ von Fiete Mathies, den ich an diesem Abend begegne und dessen Bier ich mir gemeinsam mit Gerrit feierlich gönne. Das erste Mal begutachte ich bewusst die Farbe, den Geruch und Geschmack von Bier. Lass es auf der Zunge zergehen. Es schmeckt fruchtig. Definitiv besser, als die Astra's, Beck's und Holsten's dieser Welt, die gefühlt mittlerweile fast alle aus der gleichen Industriebrauerei kommen. Die Zeremonie erinnert mich an Weinproben. Mit dem Unterschied, dass ich Wein nie richtig gemocht habe. Fiete ist an dem Montagabend zwar eher zufällig da, hat aber seine festen Termine hinterm Tresen vom Galopper. Als gelernter Brauer und Pionier der deutschen Craftbeerszene schult er das Personal und veranstaltet Degustationen, die gleichzeitig den Laden beleben. Regelmäßige Events sind sowieso ein fester Bestandteil von Gerrit's Gastro Konzept, was sich nicht nur auf den Galopper beschränkt. Im hinteren Teil des Ladens schließt sich das „Jolly Jumper“ an, wo wöchentliches Fußball gucken über 2 Leinwände möglich ist, regelmäßige Musik-Veranstaltungen stattfinden, oder man sich einfach nur bei guten Drinks gemütlich unterhalten oder kickern kann. Als ich Gerrit frage, wie er damals auf den Laden und das Konzept gekommen ist, wird deutlich, wie viel Herzblut in so einem Projekt stecken kann. „Da ich seit längerem wusste, dass die Pachtverträge im BP und im Bedford nicht verlängert würden, war ich auf der Suche nach etwas Neuem. Ein Braukurs, den ich in der Nähe meines Heimatdorfes machte, weckte dann mein Interesse für das Craft Beer und die Szene, die damit zusammenhängt. Unabhängig von der Location, in der ich meinen neuen Laden betreiben sollte, wusste ich, dass ich eine Craft Beer Bar machen will. Mit der 73 habe ich dann eine Immobilie gefunden, in dessen Umgebung und in dessen Räumlichkeiten ich mir diese Bar und weitere Gastro Konzepte vorstellen konnte. Da ist viel Bauchgefühl dabei, kombiniert mit Erfahrung, die du als Gastronom über die Jahre sammelst. Es war es mein erstes Unternehmen, was ich komplett allein aufgezogen habe. Vom Umbau, über die Einrichtung bis zum Marketing war ich allein verantwortlich.“ Als mir Gerrit das erzählt, spüre ich seinen Stolz über das Erreichte und vor allem den Spaß, den er an dieser Aufgabe hat. Für mich ist das nachvollziehbar. Es gibt kaum eine größere Motivation, als wenn die Ideen mit denen man sich selbst verwirklicht, erfolgreich sind. Und dass man damit am erfolgreichsten ist, wenn man das tut, was man gern tut, hat man auch schon öfter gehört. Bei Gerrit ist das anscheinend so: Sein Interesse für das Bierbrauen, setzt er im Galopper um. Sein Interesse für Fußball setzt er bei den wöchentlich stattfindenden Fußballevents im Jolly um, und sein Interesse für Musik im Erdgeschoss der 73. Hier befindet sich der 3. Teil seines neuen Ventures: der Kleine Donner. Dieser Club, der sich innerhalb kürzester Zeit als die Location der Hamburger Hip Hop Szene entwickelt hat, besitzt nach einem Jahr schon über 10.000 Facebook Fans. Es sind u.a. Hamburger Hip Hop Größen wie Jan Delay, die den Laden zum angesagten Treffpunkt machen und ihn jedes Wochenende füllen. Gerrit lehnt sich derweil relativ entspannt zurück, genießt seine Zeit und überlegt, wie und wo er vielleicht bald sein eigenes Bier brauen kann. Wenn man sich anguckt, wie groß der Craft Beer- Trend in Amerika und bei unseren europäischen Nachbarn ist, wird das hier bestimmt auch bald richtig Fahrt aufnehmen. Dafür viel Erfolg, Gerrit !
Gerrit Lerch
Fotos: Grischa Puls/hotelneudenken.com

Tags

Alternative Braukultur, Bar, Club, Craft Beer, Galopper des Jahres, Gerrit Lerch, Hamburg, Innovation, Jolly Jumper, Kleiner Donner, Kreativbrauerei Kehrwieder, Privatbrauerei Rollberg Neukölln, Regional, Ricklinger Landbrauerei, Schanzenviertel, Selbermachen


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