Wie war das nochmal mit dem Glas, das entweder halb voll oder halb leer ist….?
Für Harald Becker ist das Glas halb voll.
Er ist Schulleiter an einer der bekanntesten und beliebtesten deutschen Hotelfachschulen, der WIHOGA in Dortmund und hat eigentlich ein Problem. Sinkende Schülerzahlen.
Er sieht das aber nicht als Problem.
Bei dem Besuch in seiner Schule begegne ich einem realistischen Optimisten. Einem Macher voller Tatendrang. Einem neugierigen, kontaktfreudigen Profi, der reden kann. Viel und gut reden kann.
Eigentlich fing die Reise nach Dortmund ziemlich ätzend an. Vollsperrung der A2 und und 9 Stunden im Auto von Berlin nach Dortmund. Ich hatte mich schon viel früher mit der Hausdame des Studentenwohnheims verabredet, um dort „einzuchecken“. „Wo bleiben sie denn?“, fragte mich Frau Thauer über Handy.
Bettbezug, Handtücher und eine Rolle Klopapier gab sie mir dann noch an dem Abend und verabschiedete mich freundlich in mein Zimmer.
An dem Abend schmiss Island England raus. Das Spiel lief auf der Terrasse der WIHOGA, wo sich ein paar Studenten einen Fernseher und Sofas aufgebaut hatten. Ich war ziemlich müde, trank noch ein Bier, war aufgeregt, wie das verabredete Interview mit Harald Becker und den Studenten am kommenden Tag werden würde, ging dann aber schlafen.
Am kommenden Tag treffe ich Harald Becker. Er musste bis 10 noch Unterricht geben, kommt dann aber in die Cafeteria der Schule zu mir, und ich fange an zu fragen:
Wie sieht die Bildungslandschaft in der Hotellerie aus?
Inzwischen leider völlig unstrukturiert. Wettbewerb ist immer gut, aber die Azubis und Mitarbeiter sind nicht mehr in der Lage, Qualität, Intensivität und Nachhaltigkeit für ihre persönliche Weiterentwicklung einzuschätzen.
Früher waren Hotelfachschulen „höhere Töchter Angelegenheiten“. Lausanne, Altötting, Steigenberger. Die Betuchten haben ihre Kinder dort hingeschickt. Die Schulen lebten und leben über ihr Prestige und ihr Netzwerk.
Heute wird mehr auf den Abschluss geschaut und da im Speziellen auf den Bachelor.
Da wir den Bachelor Abschluss nur in Kooperation mit Universitäten verleihen können, ist das für uns nicht unbedingt ein Vorteil.
Im Ausland ist die Trennung zwischen Schule und Hochschule nicht so gegeben. Die Vergleichbarkeit der Abschlüsse wird dadurch erschwert. In Holland hat z.B. jede Erzieherin einen Bachelor. Dass das aber keine bessere Ausbildung darstellt als die des Hotelfachmanns/ frau in Deutschland, wird nicht deutlich.
Wir brauchen in Deutschland eine nationale Bildungsstrategie. Der Föderalismus hilft uns in der Hinsicht nicht weiter. Ein Top Lehrer aus Berlin wird z.B. in Bayern nicht akzeptiert. Das ist Blödsinn. Abschlüsse und Inhalte müssen gleich sein. Es muss bedarfsgerecht und zukunftsorientiert für ganz Deutschland aus- und fortgebildet werden.
Die Johnson & Wales Universität und auch die Schweizer Hotelfachschulen sind rappelvoll mit z.B. asiatischen Studenten, weil die denken, die Ausbildung dort ist das höchste der Gefühle. So machen diese Schulen einen enormen Profit. Wir sind da nicht schlau genug. Bei uns werden auf Nicht-EU-Schüler keine Lehrerstellen allokiert. Dabei bereichert doch Internationalität eine Schule ungemein.
Was haben sie denn für Schüler?
Aus anderen Ländern haben wir nur 3 Internationale Förderklassen (IFK) und das, weil wir uns freiwillig dafür gemeldet haben. Das sind 16-18 jährige Berufsschulpflichtige aus Syrien und 12 anderen Nationen. Gerade in der Hotellerie ist es doch ganz normal, dass Menschen aus verschiedenen Nationen zusammenkommen. Wir unterstützen das, auch wenn es Extra-Engagement erfordert, so wie in dem Fall der IFK-Schüler/innen, denen wir die Schulbücher mit finanzieller Hilfe der Günnewig-Stiftung organisiert haben.
Ansonsten haben wir rund 300 Schüler bei uns, die sich in ganz unterschiedlichen Ausbildungen befinden:
- Hotelberufsfachschule mit einer 1-2jährigen Vollzeit-Grundbildung für alle gastgewerblichen Ausbildungsberufe
- Hotelmanagement-Assistenten, die eine 2- jährige Vollzeit- Berufsausbildung inklusive Praktikumsphasen durchlaufen
- Wirtschaftsgymnasium, 3 Jahre gymnasiale Oberstufe mit Schwerpunkt auf BWL und Englisch sowie Differenzierungsfächern wie Hotellerie-, Tourismus- und Eventmanagement
- Wirtschaftsfachschule, eine Management-Weiterbildung die in 2 Jahren Vollzeit vermittelt wird und mit dem staatlich geprüften Betriebswirt abschließt
- Die Doppelqualifikation aus Hotel-Betriebswirt und Bachelor in 4 Semestern
- Den Executive-MBA, den man in 18 Monaten an der Johnson & Wales University in den USA machen kann
Dazu kommt unsere WIHOGA Sommerakademie und verschiedene Zertifikatslehrgänge im Bereich Tourismusmarketing, Eventmanagement oder auch Revenue Management.
Unsere Schüler sind sehr engagierte Individuen mit unterschiedlichen Erfahrungen und unterschiedlichem Horizont in der Hotellerie und Gastronomie.
Sie sind ehrgeizig auf dem Weg zur Führungskraft oder Selbständigkeit, wollen mehr aus ihrem Leben machen und nicht abhängig von einzelnen Ketten sein. Sie haben Pläne über selbstbestimmtes Arbeiten, mehr Verantwortung, eine nachhaltige Karriere, die sich mit dem Privatleben vereinbaren lässt.
Wie finanziert sich ihre Schule?
Wir sind in freier Trägerschaft, also eine private Schule. Bis auf die Sommerakademie haben wir aber staatliche Bildungsangebote, d.h. die sind von der Schulaufsicht geprüft und genehmigt. Unsere Abschlüsse sind wertiger als manch andere, die in Deutschland angeboten werden. Das muss man erst einmal vermitteln.
Wenn man die Auflagen der Schulaufsicht erfüllt, was mit der Qualifikation der Lehrer, der Größe der Schule usw zu tun hat, und wenn einem das Schulgebäude gehört, so wie das bei uns der Fall ist, dann bekommt man 94% der laufenden Kosten vom Land NRW erstattet.
Wir müssen also nur den Kredit auf das Gebäude tilgen, Rücklagen für Renovierungen und moderne Ausstattung bilden und 6% der laufenden Kosten aufbringen. Das heißt im Umkehrschluss, dass unsere Schüler weniger zahlen müssen, und das ist auch das Ziel des Schulträgers.
Wir haben hier keinen externen Investor an Bord, dem wir eine Rendite schuldig wären. Alles was wir tun, tun wir für uns und unsere Schüler. Das lässt sich wunderbar vermitteln und motiviert.
Dazu kommt, dass bei uns sehr viel ehrenamtlich geleistet wird. Der Schulvereinsvorsitzende, ein sehr dynamischer, erfolgreicher und weltoffener 73jähriger Gastronom oder auch der gesamte Vorstand inklusive Klaus Hübenthal, Hauptgeschäftsführer des DEHOGA NRW, rechnen beispielsweise nicht einmal Fahrtkosten ab, wenn sie zu Sitzungen herkommen.
Das alles führt dazu, dass Schüler bei uns nur 4500€ für den 2-jährigen Betriebswirt zahlen und nicht das doppelte, wie es an anderen privaten Schulen und Hochschulen üblich ist.
Eigentlich entspanntes Arbeiten, oder?
Na ja, so entspannt ist das nicht, v.a. wegen der sinkenden Schülerzahlen. Nicht nur in den Betrieben, sondern auch bei uns spürt man, dass weniger Nachwuchs kommt.
Deswegen hören wir auch auf beide Seiten und passen unser Schulangebot an.
Wenn sie Betriebe fragen, wollen die den Abiturienten, der eine 3jährige Ausbildung gemacht hat. Das will der Abiturient aber nicht.
Auf diese Bedürfnisse versuche ich einzugehen und unsere Schule, an der ich schon seit 28 Jahren arbeite, zukunftsfähig zu machen.
Die Realität sieht doch so aus, dass junge Leute, die ihren Bachelor machen und zurecht erwarten, nach dem Studium eine Management-Position in einem Hotel mit 3000 € Bruttogehalt zu bekommen, dann aber oft für 1700 an der Rezeption landen. Management- Positionen sind nur begrenzt vorhanden und erfordern v.a. Praxis- und Führungserfahrungen, nicht so sehr akademische Theorie.
Fair ist, sich das einzugestehen und Ausbildungsangebote zu kreieren, die darauf eingehen. Wir machen das z.B. mit unserem Hotelmanagement Assistenten so. Es kommen Abiturienten, Quereinsteiger und Studienabbrecher, die diesen Einstieg wählen und so den fachlichen Grundstein legen.
Weil unsere Branche eben so bunt ist, diversifizieren wir unser Schulangebot. Wenn wir hier vor einem Jahr gesessen hätten, hätte ich ihnen über 3 Bildungsgänge berichten können. Heute sind es 6 und bald noch weitere.
Mit unseren verschiedenen Angeboten, die alle auf unterschiedliche, individuelle Bedürfnisse und Vorkenntnisse der jungen Leute eingehen, versuchen wir sie für die Hotellerie und Gastronomie zu begeistern, aber auch fit zu machen.
Woher nehmen sie diese Motiviation?
Ich bin gebürtiger Möchengladbacher, also Rheinländer. Mein Vater war Prokurist in einer Spedition, hat auch nie pünktlich um 17 Uhr Feierabend gemacht und mir schon früh die Arbeits- und Dienstaleistungswelt nähergebracht. Ich bin über Stationen in der Logistikbranche und mein Studium zur WIHOGA gekommen, wo ich mich vom jungen Lehrer, damals noch auf der anderen Straßenseite wo unsere alte Schule stand, hochgearbeitet habe.
Jetzt bin ich 57 und habe noch 10 Jahre vor mir, die ich mit genauso viel Elan erleben möchte, wie das bisher der Fall war.
Vor ca. einem Jahr, als ich mit meiner Frau, die im Übrigen auch hier seit bereits 30 Jahren unterrichtet, im Urlaub war, haben sich bei mir Gedanken für das Zukunftskonzept für unsere Schule verfestigt: WACHSTUM DURCH DIVERSIFIKATION.
Was heißt das?
Ich kann und will da jetzt noch nicht zu viel verraten, weil es z.T. auch noch nicht mit allen Partnern abgestimmt ist. Aber es geht in die Richtung, die wir schon jetzt eingeschlagen haben. Nämlich Ausbildungsangebote zu kreieren, die breitere Zielgruppen ansprechen. Wir werden immer den Schwerpunkt auf die Hotellerie und Gastronomie legen, schon allein aus unserer Verbundenheit mit dem DEHOGA NRW heraus.
Aber es gibt artverwandte Branchen mit denen es viele Schnittstellen gibt, woraus sich auch Synergien bilden können. An uns wird herangetragen, dass unser Konzept, nämlich die Kombination aus Praxis und Theorie, diese Schulbildung auf hohem Niveau, auch für andere Dienstleistungsbranchen interessant sein kann. Warum sollen wir darauf nicht eingehen.
Ich habe stets den Kontakt und den Austausch zu anderen Menschen gesucht. Ich netzwerke, kenne viele Leute und genieße das auch ein Stück weit, weil es meinem Naturell entspricht und weil es in unserer Branche sowie in einer Stadt wie Dortmund auch notwendig ist und gut funktioniert.
Damit wir uns zukunftsfähig aufstellen können, müssen wir auch ein bisschen experimentieren. Kein Mensch weiß, wie unsere Branche und die Bildungslandschaft in 10 Jahren aussehen werden. Den Weg dahin können wir aber gemeinsam gestalten, in dem wir uns austauschen und Dinge anpacken. Ich verabrede mich sehr gerne mit Persönlichkeiten aus der Wirtschaft – aktuell z.B. mit dem neuen IHA-Vorsitzenden Otto Lindner – um Visionen und Möglichkeiten der Weiterentwicklung auszutauschen und zu diskutieren. So nutze ich das gigantische Netzwerk der WIHOGA, zu vielen erfolgreichen Ehemaligen, aber auch zu Verbänden wie DEHOGA, IHA, FBMA, HSMA, HotelloTOP etc.
Hotello….was ?
HotelloTOP, eine Netzwerkveranstaltung für die Hotellerie. Initiiert hat die Charles van Goch, ein Holländer, der auch Mise en Place betreibt. Gestartet ist HotelloTOP an der ehemaligen Hofa von Charles in Maastricht. Die Branche trifft sich ungezwungen zum Austausch, dort war es im Rahmen einer Messe. Mittlerweile, gibt es einen HotelloTOP Management Wettbewerb für Hotelfachschüler, den EMCup, den wir auch schon gewonnen haben und bei dem ich schon in der Jury saß. Dazu gehört auch eine angehängte Netzwerkveranstaltung, zu der sich mittlerweile bis zu 2000 Hospiatlity-Insider treffen.
Ich versuche das mit Charles nach Deutschland zu bringen, weil ich es lockerer aber auch effektiver finde, als mach anderes Ehemaligen-Treffen. In Dortmund machen wir das jetzt seit 4 Jahren. Es gibt aber auch einen kleinen Ableger von HotelloTOP in Berlin.
Netzwerken ist so ein wichtiger Aspekt und jemanden zu kennen, ist in unserer Branche einfach wichtig und erleichtert so vieles.
Wir haben über 6000 erfolgreiche Absolventen in aller Welt, die top ausgebildet oftmals in Management-Positionen sitzen. Diese Power muss man nutzen. Das geht über persönliche Beziehungen, kann aber im digitalen Zeitalter auch durch Tools wie hosco unterstützt werden.
hosco ist eine stark wachsende Netzwerkplattform, die mit 45.000 registrierten Absolventen, 1300 Arbeitgebern und über 90 Hotelfachschulen als Marktführer bei den Matching- Portalen gelten kann. Wir sind von Anfang an dabei und pushen das Tool auch bei unseren Studenten. Es kann eine gute Unterstützung beim Recruiting und bei der Alumni-Betreuung sein.
Darf ich sie zum Abschluss noch um ihr persönliches Highlight und ein Ärgernis befragen?
Fangen wir mit dem Ärgernis an. Wir organisieren jährlich zwei sehr erfolgreiche Career Fairs bei uns in der WIHOGA. Da kommen mittlerweile nicht nur unsere eigenen Studenten hin, um die Angebote und Perspektiven der Hotels / Hotelketten kennenzulernen, sondern auch Berufsschulen aus ganz NRW. Es ist ein toll organisiertes Event, bei dem schon viele ihre neuen Arbeitgeber gefunden haben.
Wir betreiben das getreu unserem Motto, dass junge Leute heute einen Austausch auf Augenhöhe, eine hohe Wertschätzung für das Geleistete, ständiges Feedback, Verlässlichkeit des Arbeitgebers und natürlich auch Perspektiven erwarten, die ihnen aufgezeigt werden.
Eines Tages beschwerte sich ein Gastronom aus der Region darüber, dass seine Auszubildenden an internationale Hotelketten vermittelt würden, anstatt an örtliche Familienbetriebe.
Bei so viel Kleinkariertheit und überzogener Abschottung ist mir dann der Kragen geplatzt. Warum soll man jungen Leuten nicht alle erdenklichen Chancen bieten, um ihre Karriere zu unterstützen und ihren Horizont in unserer Branche zu erweitern?
Das bringt die Ignoranz mancher gastronomischer Betriebe zum Ausdruck, dass Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern eine der besten Investitionen in den eigenen Betrieb sind.
Es kommt noch immer vor, dass aus völlig eigennützigen Motiven, Mitarbeitern der Besuch der Hotelfachschule ausgeredet wird. Beziehungsweise, dass Mitarbeiter für ein Tagesseminar bei der WIHOGA-Sommerakademie Urlaub nehmen und das Seminar vom eigenen Geld zahlen müssen (wir reden hier über 195€!).
Der Trend in Aus- und Weiterbildung geht dahin, dass noch mehr vollzeitschulische und überbetriebliche Ausbildungselemente notwendig sein werden, um Defizite aus der allgemeinen Schulbildung auszugleichen, Jugendliche ausbildungsreif zu machen und eine kompetente Wahl des für sie individuell geeigneten Ausbildungsbetriebs zu ermöglichen.
Darüber hinaus wird lebenslanges Lernen immer wichtiger. Das heißt, Betriebe sollten sich mit dem Gedanken beschäftigen, Mitarbeitern nicht nur einmal, sondern ständig Weiterbildung zu ermöglichen und dies zu fördern. Hier sind intelligente Aus-, Weiterbildungs- und Karrierepakete gefragt, die auch Vollzeit- als auch digitale (Selbstlern-)Elemente beinhalten.
Wer sich dem verschließt, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
Erfreulicher sind da z.B. solche Momente wie kurz nach Einweihung unseres neuen Campus im Januar 2007, als die Schüler bei der Zeugnisübergabe skandierten:
„WIR SIND WIHOGA!“
Da habe ich eine Gänsehaut bekommen, weil der Moment so stimmungsvoll war und der ganze Spirit dieser Schule durchkam, auf den ich sehr stolz bin.
Danke, Harald Becker für dieses Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei Ihren Plänen.
Credits: Fotos von Grischa Puls / hotelneudenken.com